
Reisebericht
Usbekistan Kirgisien
von Ursula Trunz

Suttu-Bulak-See

Registan-Platz in Samarkand

Kein Jurtencamp
ohne Schaukel
Immer und immer wieder habe ich geträumt von jenem fernen Sandplatz. Er ist fast 5000 Kilometer von der Schweiz entfernt. Er wird nicht von Meereswellen umschäumt, sondern liegt mitten in einer hektischen, lärmigen Stadt. Der Verkehr auf den Hauptachsen ist chaotisch, nichts für schwache Nerven, die Quartierstrassen wenige Meter daneben sind provinziell, mit Schlaglöchern und Leitungen, die wirr hängen wie un-
gekämmtes Haar. Die Stadt heisst Samarkand, und vor wenigen Monaten, an einem Dienstag im Juni 2023, bin ich endlich auf ihrem Sandplatz gestanden.
Mir kamen, was ich selber nicht erwartet hätte, die Tränen, als ich den Registan, eben den Sandplatz mit seinen drei Koranschulen, seinen drei Medresen, endlich mit eigenen Augen erblickte. Es war Abend, der Tag dämmerte bereits in die Nacht hinein und war von einer stummen Klarheit, die nichts mehr von der Hitze des Sommers hatte. Jedes Staubkorn, das im Treiben der Stadt aufgewühlt worden war, schien sich sanft gesenkt und hingelegt zu haben. Damit nichts das erhabene Bild der drei Medresen trüben könne. Damit sich der Himmel im ehrlichsten und unendlichsten Dunkelblau, das sich der Mensch vorzustellen vermag, über die monumentalen Bauten wölbe.
Ich hielt mir die Hand vor den Mund, weil ich mein Erstaunen ob all dieser Pracht sonst wohl nicht ausgehalten hätte. Und selbst jetzt, da ich darüber schreibe, spüre ich eine eigentümliche Rührung in mir aufsteigen. Ist es diese Ansammlung höchster Handwerkskunst, vielleicht auch von Grössensucht, von Gold, Keramik und Mosaiken, die mich derart überwältigt? Mich, den bescheidenen Menschen, der jedwedem Prunk doch eher abhold ist? War der Journalist und Schriftsteller Egon Erwin Kisch, als er beschloss, den Registan in Samarkand nicht zu beschreiben, vielleicht genauso unerklärlich hingerissen wie ich? Ich glaube es gern und werde mich für den Rest meines Lebens satt wissen, weil ich den Hunger meiner Augen nach diesem Anblick gestillt habe.
Mit Sicherheit, dies als kleiner, aber nicht unwichtiger Nachtrag, haben Buchara mit seinen Monumentalbauten und die Oasenstadt Khiva genauso zu meiner Verzauberung beigetragen. Jedenfalls ist sie kolossal und kolossal anhaltend.
Ich war froh, anschliessend an die Tage in Usbekistan in die landschaftlichen Weiten Kirgistans weiterreisen zu dürfen und dort, etwa am Son-Kul-See, auf rund 3000 Meter über Meer, vom Jurtencamp loszuwandern, hinaus in die grüne, baumlose und menschenleere Hügellandschaft, hinein in die eigenen Gedanken – und in ein neuerliches Staunen, jetzt über Landschaften, wie ich sie noch nie zuvor in meinem Leben gesehen hatte.
Staunen, sehen, sein
Es ist mir kein anderes Angebot bekannt, das Usbekistan und Kirgistan – beides Traumländer der eigenen Art – in einer einzigen Reise verbinden würde. Genau darin aber liegt der seltene Reiz dieser Intertreck-Reise: Nach dem Besuch der Städte Khiva, Buchara und Samarkand, die dem zauberhaft geheimnisvollen Klang ihrer Namen mehr als gerecht werden, in die Berge Kirgistans zu wechseln, über schmale Natursträsschen in die Höhen einsamer Pässe zu fahren und schliesslich am Issyk-Kul-See, am
kirgisischen Meer, auf 1600 Meter gelegen und elfmal so gross wie der Bodensee, am Sandstrand zu liegen und auf schneebedeckte Berge zu blicken.
Derlei also ist die Sensation dieser Reise. Und wer schon früher auf anderen Teilen der Seidenstrasse gewandelt ist, wird staunen, dass die kirgisische Stadt Uzgen mit ihren Sehenswürdigkeiten aus früheren Zeiten nur gerade rund 300 Kilometer von Kashgar entfernt ist. Fürwahr: Es gibt zu staunen auf dieser Reise. Es ist ein Sehen und ein Sein, das seinesgleichen sucht.